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Mal was ganz anderes: Was wir aus den vergangenen 50 Jahren

in » In der Sattelkammer 13.02.2009 22:57
von pierre10 | 163 Beiträge | 163 Punkte

Fünfzig Jahre aus denen wir für die Zukunft lernen können..

Mit meinen 77 Jahren kann ich mich gut an die Zeit vor 50 Jahren erinnern.... dies für meine jüngeren Freunde zum Nachdenken.

Manche Menschen haben die Tendenz, sich auf Grund ihrer religiösen Denkweisen und ihrer Tradition mehr mit der Vergangenheit und der Gegenwart, nicht aber so sehr mit dem Leben der Menschen in Zukunft zu befassen. Dabei kann ein Blick auf die z.B. letzen 50 Jahre einen Trend aufdecken, wie sich für uns die Zukunft entwickeln kann.

Noch nie war die Entwicklung der Menschheit so dramatisch wie in den letzten fünfzig Jahren. Wer im Jahre 1958 geboren wurde kam damals in eine Welt, die mit der Welt von heute kaum verglichen werden kann.

Ein vor fünfzig Jahren geborener Mann hatte eine vorhersehbare Vollbeschäftigungsbiografie. Eine zur gleichen Zeit geborene Frau wusste, dass ihre Hauptaufgabe die Kindererziehung, die Küche und die Sorge um das Heim der Familie sein wird.

Damals war das Fahrrad das schnellste Fortbewegungsmittel für die meisten Menschen, auf unseren Straßen gab es weniger als eine halbe Millionen Kraftfahrzeuge. Heute sind es fast hundertmal mehr.

Das Fernsehen hatte gerade erst begonnen, man verbrachte damals seine Abende mit der Familie oder Freunden, es wurde gelesen, geschrieben. Auch Briefe geschrieben, wo wir heute viel lieber telefonieren.

Es wurde früh geheiratet, mit 24 oder 25 Jahren war man Vater oder Mutter. Kinder kamen so, wie sie kamen, da Verhütungsmittel noch ganz am Anfang standen. Scheidungen waren selten und galten als Missgeschick. Es war üblich, sonntags in die Kirche zu gehen, am Sonntagnachmittag war Familienspaziergang angesagt. In den meisten Fällen wurde auch samstags gearbeitet, ich erinnere mich, dass mein Vater auch am Sonntag zur Post fuhr, die eingehenden Briefe las um den Montag vorzubereiten.

Von der Microsoft-Kultur des Bill Gates waren nicht einmal Ansätzen zuerkennen, zwar gab es die ersten mechanischen Datenverarbeitungsmaschinen, meist vom System Hollerith, mit Lochkarten und riesigen, röhrenbetriebenen Rechner usw.

In allen Büros klapperten die Schreibmaschinen. Ich erinnere mich, dass ich Anfang der 50er Jahre eine kleine Papierfabrik in den Vogesen besuchte, in der noch alte Herren, meist Lehrer oder auch mal ein Notar im Ruhestand mit Ärmelschoner und Augenschirm an Stehpulten standen und die Korrespondenz mit der Hand, mit Federhalter und Tinte aus dem Tintenglas, schrieben.

Die Welt von 1958 gibt es nicht mehr. Fast alle Lebensformen, aber auch die Lebensabläufe haben sich seither massiv verändert. Die solide Biografie unserer Großväter ist durch eine Bastelbiografie oder Patchworkbiografie ersetzt worden. Vor allem aber haben sich die Beziehungsmuster völlig verschoben.

Es gibt kaum noch ein durchgehendes Arbeitsleben im gleichen Beruf, es sind viel mehr Teilzeit-Etappen mit einer Abfolge von verschiedenen Jobs. Das gilt selbst für den Beruf der Mediziner. Wenn auch der eigentliche Beruf bleibt, verändert er sich doch durch die rasante technische Entwicklung so sehr, dass es auch hier dauernd neue Aufgabegebiete gibt. Fachleute berichten, dass es 50 % der Berufe des Jahres 2025, das ist morgen, heute noch gar nicht gibt.

Aus dem Lebensgefährten wird der Lebensabschnittbegleiter, wir leben in einer versteckten Polygamie. Die alte Haushaltsfamilie ist durch eine Durchgangsgemeinschaft ersetzt worden, in der jeder, Mann, Frau, Kinder und Freunde geht und kommt wie es ihm passt.

Die Kirchen heute haben ihren Einfluss im Vergleich zu vor 50 Jahren weitgehend verloren, auf Philosophen hört kaum jemand und die meisten Menschen leben einfach nur so vor sich hin, ohne diesem Leben wirklich zu vertrauen. So wird Glücklichsein schwierig.

Die Menschen werden älter, das verdanken wir der modernen Medizin und Hygiene. Männer wie Frauen werden heute 30 Jahre älter als vor 100 Jahren und immer noch zehn Jahre älter als vor fünfzig Jahren. Das stellt alle seinerzeit prognostizierten Voraussagen für die Altersversorgung in Frage. Und diese Tendenz geht weiter. Einem Jahre 2008 geborenes Mädchen hat zu 90 Prozent Chancen, 100 Jahre alt zu werden.

Vor fünfzig Jahren wurden bei uns pro Jahr etwa eine Million Kinder geboren, heute ist es nur noch etwa die Hälfte. Damals war das Verhältnis der Kinder unter 14 zu den Alten über 65 etwa 2 zu 1. heute ist das Verhältnis eins zu eins. Das ist das Zeichen einer galoppierenden demografischen Veränderung. Die Pille hat unser Fortpflanzungsverhalten und unsere Lebensplanung völlig verändert. Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben ohne Kinder. Das führt automatisch dazu, dass in 40 Jahren nicht mehr genug Menschen in Arbeitsverhältnissen sind, um die notwendigen Renten, die Sozialbeiträge zu bezahlen.

Interessant ist, dass die Kinderanzahl in Familien mit mehreren Kindern kaum sinkt, dagegen gibt es sehr viele mehr Paare ohne Kind. Das bedeutet, dass es viel weniger Einzelkinder gibt als früher. Im Schnitt bekommt jede Frau in Deutschland 1,35 Kinder. (Hier wäre zu fragen wer denn die Kinder hinterm Komma produziert?). Jede vierte Frau, die nach 1960 geboren wurde bleibt kinderlos, von den Frauen die nach 1970 geboren ist es sogar jede dritte. Das liegt natürlich auch zum Teil an den extrem langen Bildungszeiten der Frauen zum Beispiel an den Universitäten. Dazu kommt, dass schon ab 30 Jahren die Fruchtbarkeit der Frauen merklich absinkt. So hat sich die "In Vitro Technik" installiert, die aber nur bei zehn bis 15 Prozent der Versuche Erfolg gezeigt.

Bei den meisten Menschen kommen Kinder erst, wenn andere, anscheinend wichtigere Fragen geklärt sind. So kommen Kinder nach der Karriere, nach Finanzen und nach der Wohnung. Auch lassen sich die Menschen vielmehr Zeit zwischen dem Kennen lernen und der Familiengründung, im Durchschnitt fünf Jahre. Nach einer Geburt eines Kindes kommen oft Aussagen wie: " mein eigenes Leben kommt jetzt zu kurz."

So ist es für viele ein Problem, wenn sie sehen, wie sich das Leben anderer Frauen, anderer Paare verändert durch die Ankunft eines Kindes. Erst sind da die Sorgen ob das Kind gesund zur Welt kommt, dann, ob es gesund bleibt. Beide Eltern sind oft überfordert mit den oft lautstark bekundeten, meist unverständlichen Wünschen des Kindes, manche fragen sich, ob Kinder nicht generell zu früh zur Welt kommen.

In einigen Ländern will man deshalb Menschen, die keine Kinder haben steuerlich wesentlich mehr belasten und kinderreiche Familien nicht nur steuerlich entlasten, sondern auch mit Prämien belohnen. Aber auch das sind nur Basteleien, es müsste eine grundsätzliche Änderung der inneren Einstellung der Menschen zu ihrer eigenen Zukunft entwickelt werden. In Ländern ohne soziales Netz (Beispiel Afrika, z.T. Asien) stellt sich diese Frage nicht, denn viele Kinder zu haben bedeutet ausreichende Versorgung für den Lebensabend. Vielleicht hat diese Frage auch etwas mit dem sich entwickelnden Egoismus unserer Gesellschaft zu tun.

Auch das Leben der Frauen ist ganz anders geworden. Heute haben mehr als doppelt so viele Frauen eine berufliche Aktivität als 1953. Dadurch musste sich die Familie anders organisieren. Staat und Wirtschaft müssen sich Gedanken darüber machen wie mit Teilzeitbeschäftigungen, Altenpflege und Kinderbetreuung eine Situation geschaffen wird, damit Frauen, die arbeiten wollen, nicht zu Gunsten der Erziehung und Pflege der Alten auf eine Aktivität und damit auf ein Einkommen verzichten müssen.

Die Arbeitswelt hat sich von Grund auf verändert. Während früher Entwicklung, Herstellung und Verkauf meist in einer Hand lagen, wird das heute immer weniger praktiziert. Eine Firma entwickelt, verkauft das Ergebnis an einen Hersteller, der produziert und übergibt Vertrieb und Marketing anderen Unternehmen. Firmen fusionieren, verschwinden, kommen wieder unter anderem Namen, wandern in andere Länder aus. Das führt bei vielen Menschen dazu, in dass sie unsicher werden, Angst haben ihrer Aufgabe als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen zu können.

Zunächst konnte man verstehen dass die Zahl der von der Landwirtschaft lebender Menschen in fünfzig Jahren von 30 Prozent auf ca. 5 Prozent gesunken ist. Dafür gab es mehr Arbeit in der Industrie. Heute merken die Menschen, dass es auch in der Industrie immer weniger Arbeit gibt. 1954 arbeiteten fünfzig Prozent aller Arbeitnehmer in der Industrie, heute sind es knapp 20 Prozent. Viele Firmen verlegen ihre Produktionsstätte in Billiglohnländer, ohne daran zu denken dass die von ihnen entlassenen Arbeitnehmer dann nicht mehr die Mittel haben, die von ihnen im Ausland produzierten Waren zu kaufen. Man könnte sagen, dass sie sich den Ast absägen auf dem sie sitzen.
Vor fünfzig Jahren waren im Bereich der Dienstleistungen ca. 30% der Arbeitnehmer beschäftigt, heute sind es fast 70 Prozent. Wenn man weiter darüber nachdenkt, stellt sich die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Wird der Menschen als Arbeitskraft durch die moderne Technik genauso überflüssig wie das Pferd in der Landwirtschaft nach der Einführung des Traktors?

Weitere interessante Denkansätze sind Fragen der Kirchen, der Religion und des Glaubens. Vor 100 Jahren lebten in Paris intra muros wie heute ca. 2 Millionen Menschen. Schätzungen aus dieser Zeit berichten vom ca. 70 Prozent praktizierender Katholiken. Heute gibt es in Paris noch zirka 165.000 praktizierende Katholiken, jeder verfügt theoretisch über 49 Quadratmetern kirchlicher Räume, mehr also wie er in seiner eigenen Wohnung hat. Andere Religionen, z. B. der sich bei uns ausbreitende Islam haben damit wesentlich weniger Probleme. Es werden in Frankreich mehr neue Moscheen gebaut als neue Kirchen.

Eine wesentliche Veränderung der letzten fünfzig Jahren haben die modernen Verkehrsmittel gebracht. Wer damals von Bali sprach, konnte sicher sein, dass die Mehrzahl der Menschen gar nicht wußte, was es ist und wo es liegt.

Damals verbrachten die meisten unserer Bürger ihre Ferien bei Verwandten auf dem Land, kaum jemand machte die damals strapaziösen Fernreisen. Das hat sich grundsätzlich verändert.

Auch die Mobilität hat sich verändert. Im Schnitt wechselt jeder Bürger dieses Landes drei bis fünfmal seine Wohnung. Das alles gehört zu der Entwicklung unseres Lebens.

Aber diese größere Mobilität führte zu Schwierigkeiten bei der eigenen Orientierung, der eigenen Bildung. Verlust der Nachbarn, der Schulkameraden, der Kollegen, der zurückbleibenden Familien. Es gibt immer weniger Kontakte zwischen den Menschen in der Freizeit aber auch bei der Arbeit. Der Arbeitsdruck ist heute so groß, dass kaum Zeit für persönliche Gespräche bleibt. Das führt zur Vereinsamung und Beziehungslosigkeit. Dieses Problem haben auch unsere Kinder schon, so sind wesentliche psychologische Probleme vorprogrammiert.

Die nächste Frage befasst sich mit der Integration.

Vor fünfzig Jahren lebten nur weniger Ausländer in unserem Land. Die meisten davon kamen aus eher bevorzugtem Milieu (Dipolmaten usw.), konnten sich relativ leicht dem Leben in unserem Land anpassen. Außerdem gab es einige Fremd-Arbeiter, die ins Land kamen, weil unsere Bürger bestimmte Arbeiten nicht machen wollten.

Heute jedoch leben hier in Frankreich ca. 8 Millionen Ausländer das sind ca. 13 Prozent der Einwohner unseres Landes. Viele kommen aus Nordafrika, der Türkei, also aus islamischen Ländern, sie und wir haben echte Probleme mit ihrer Integration. In diesen Familien wird weitgehend die Heimatsprache gesprochen, sodass Kinder, wenn sie zur Schule kommen, unsere Sprache nicht richtig sprechen. Auch ist es für diese Kinder schwierig, die unterschiedlichen religiösen und auch laizistischen Auffassungen zu verstehen. In Frankreich erscheint dieses Problem nicht so dramatisch, da Kirche und Staat getrennt sind. In Deutschland dagegen steht die christliche Religion im Grundgesetz, das führt dort zu erheblichen Problemen. Ich möchte hier nicht auf den Kopftuchstreit eingehen, er ist nur ein Symbol für die Intoleranz unserer multikulturellen Gesellschaft.

Diese Bilanz ist nicht negativ, sie zeigt realistisch die Entwicklung eines Teils unseres Lebens der letzten fünfzig Jahre auf. Das gibt uns die Möglichkeit uns Gedanken um die Trendentwicklung der Zukunft zumachen. Wir sollten uns neben unserer merkantilen Arbeit mehr Gedanken ob der Zukunft machen. Mit der Basis der Erfahrung der Alten und dem Enthusiasmus der jungen Menschen sollte es möglich sein mitzuhelfen, die Lebensbedingungen der Menschen in den weiteren Jahren zu verbessern.

Die eigentlichen Bedürfnisse der Menschen haben sich in diesen 50 Jahren nicht wirklich verändert, anders geworden sind Kommunikation und der Wunsch nach mehr...... von allem.
So gewinnt der Ansatz des Götz Werner, eines bedingungslosen Grundeinkommens Sinn, wir werden um eine Entwicklung, aber auch um Änderungen unseres Lebens und unserer Einstellungen unvorstellbaren Ausmaßes nicht herum kommen.

Aber auch unsere Beziehung zum Pferd hat sich verändert. Und wird sich weiter verändern.

Pierre

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#2

RE: Mal was ganz anderes: Was wir aus den vergangenen 50 Jahren

in » In der Sattelkammer 14.02.2009 10:28
von pocavistaranch | 3.274 Beiträge | 3274 Punkte

Hallo Pierre,
Deine Gedanken sind sehr interessant!! Vieles von dem hat wohl jeder von uns in seiner eigenen Familie so kennengelernt. (Zumindest ist es bei mir so.)

Grundsätzlich finde ich, dass die Menschen wohl noch nie so viel (theoretische) Freiheiten hatten wie heute aber wohl auch noch nie so wenig (ebenfalls theoretischen) Halt.

viele Grüße, Paul

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#3

RE: Mal was ganz anderes: Was wir aus den vergangenen 50 Jahren

in » In der Sattelkammer 14.02.2009 11:37
von crinblanc | 4.708 Beiträge | 4708 Punkte

Das "theoretisch" gefällt mir gut! ;)

Oder, um es mit crinblanc vor 20 Jahren auszudrücken "Schöne Freiheit, wenn du sie an ihren Grenzen definierst..."
(viel hat sich nicht geändert)

Lg, crinblanc

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